Ein Vor-Vorfrühlingstag
(18. Februar 2021)

Text: Christian Seiffert
Fotos: Christian Seiffert und Staudengärtnerei Gaißmayer

Letzte Schneereste am Straßenrand, mit Eis versilberte Felder, die Sonne kämpft sich mühsam durch den Hochnebel. Doch ab 10 Uhr hält mich nichts mehr im Haus. Die Luft stinkt noch nach Ofenrauch, aber ich ahne einen ersten Duft, der zart an Frühling erinnert: Der Boden lebt! Rundgang durch den Garten. Cyclamen coum, die Frühlings-Alpenveilchen zeigen erste Knospen, auch die Karnevalsprimeln (Primula vulgaris ssp. Sibthorpii). Die Türkischen Schneeglöckchen (Galanthus elwesii) spreizen in der Sonne weit ihre Blütenblätter, im Schatten schließen sie sie wieder. Das hiesige Schneeglöckchen (Galanthus nivalis) sagt: es ist noch nicht so weit, die Knospen spitzen erst vorsichtig heraus. Ein einzelner Märzenbecher (Leucojum vernum) blüht bereits, ein großer Pulk im Schatten beginnt gerade erst auszutreiben. Wie perfekt sich die ersten Vorfrühlingsblüher an Licht und Temperatur anpassen. Die Winterlinge (Eranthis hyemalis) sind ein Wunder der Anpassung: Zwei Tage zuvor wurden sie noch einmal eingeschneit, jetzt sind die Blüten geöffnet und die Bienen laben sich am frühen Nektar. Etwas übereilt verhalten sich einige Lenzrosen (Helleborus x orientalis) an der Sonnenseite des Senkgartens: Verhaltene Farben zwischen Weiß und verwaschenem Rot. Womit ich wirklich nicht gerechnet hatte: Es blühen die ersten zwei Krokusse.

Nun aber ans Werk. Die Sonne liefert die nötige Betriebstemperatur. Als erstes werden die stabilen und durch den ganzen Winter hindurch prächtig aussehenden Stiele von Aruncus dioicus, dem Waldgeißbart geschnitten. Eigentlich schade darum. Aber genau da will ja in wenigen Tagen Leucojum blühen. Dort im feuchten Schatten hat es sich reich durch Samen vermehrt. Doch nicht nur der Waldgeißbart steht im Weg. Beängstigend hat sich flach am Boden Efeu ausgebreitet. Ließe ich es wachsen, wäre in zwei Jahren der Boden dicht damit bedeckt. Die ganze Waldschattenflora würde untergehen. Dann das bisschen Rasen, dann das Haus. Efeuschicksal!

Und da ich schon beim Schneiden war, schnitt ich auch die alten Blätter der Lenzrosen, die hier im Schatten noch nicht mal Knospen zeigen. Dieser Schnitt im Frühjahr hält die Pflanzen gesund und lässt die Blütenstiele später in schönerem Licht erscheinen. Dann kamen noch die alten Blätter einer gelb blühenden Elfenblume (Epimedium) an die Reihe. Verpasse ich den Schnitt, was gelegentlich vorkommt, ist von den schönen Blüten und dem zarten Blattaustrieb kaum etwas zu sehen. Diese Elfenblume breitet sich gemächlich aus, mischt sich mit den Lenzrosen, mit Türkenbund (Lilium martagon) und den Silberkerzen (Cimicifuga racemosa).

So füllt sich an diesem ersten richtigen Arbeitstag der Kompostbehälter, und auch die Schreddermaschine muss wieder in Gang gesetzt werden. Zunächst aber müssen sich Hüfte und Rücken erholen. Die halbknieende Körperhaltung bei diesen Arbeiten hat ihnen nicht gut getan. Und so sitze ich einen Tag danach drinnen und schreibe diesen Beitrag. Außerdem regnet es heute.

Christian Seiffert
aus Jamlitz und Eresing Seit 2001 experimentiert Christian Seiffert parallel in zwei geographisch weit auseinanderliegenden Gärten: in Oberbayern und in der Niederlausitz, im Land Brandenburg.
Mehr lesen

Text: Christian Seiffert
Fotos: Christian Seiffert und Staudengärtnerei Gaißmayer