Heimisch um jeden Preis?

Ein Beitrag von Angelika Traub.
Fotos: Angelika Traub, Staudengärtnerei Gaißmayer (Bryonia dioica)

Natürlich wollen wir alle – neben gestalterischen Vorlieben – besonders jetzt, in Zeiten des Klimawandels, auch Lebensraum für Insekten, Vögel und nützliches Getier schaffen. Giftfrei, ökologisch und klimawandelgerecht soll es im Garten zugehen – und immer wieder wird propagiert, möglichst heimische, weil gut an unsere Bedingungen angepasste Pflanzen zu wählen. Aber ist das in Zeiten des Klimawandels tatsächlich eine uneingeschränkt sinnvolle Forderung? Eine vieldiskutierte Frage, auf die es keine einfache Antwort gibt.

Artenreichtum – Artenarmut

Was genau bedeutet überhaupt »heimisch«? Wo zieht man die Grenze? Welche Zeiträume legen wir für diese Definition zugrunde? Und: Ist das ausschließliche Verwenden heimischer Pflanzen im Garten eine Antwort auf den rapide voranschreitenden menschengemachten Klimawandel?

Die Natur kennt keinen Stillstand, sie war und ist vielmehr auch ohne menschliches Zutun in ständigem Wandel begriffen. Beispielsweise hat die letzte Eiszeit in Mittel- und Nordeuropa zum Aussterben vieler Pflanzen geführt, die aufgrund der querliegenden Alpen nicht wieder zurückfanden. Die Folge war, verglichen mit anderen Erdregionen, eine bis heute bestehende auffällige Artenarmut. Fossile Funde beweisen, dass auch in unseren Breiten einmal Magnolien und der »typisch« asiatische Ginkgo heimisch waren. Sind sie nun willkommene Heimkehrer oder Fremdlinge? Viele weitere Beispiele wären zu nennen. In Amerika verlaufen die großen Gebirge hingegen in Nord-Süd-Richtung, so konnte die in wärmere Gefilde zurückgedrängte Flora ihre ehemaligen Territorien wieder zurückerobern.

Wollten wir unsere Gärten, Parks und öffentliches Grün also ohne den Artenreichtum an Gehölzen und Stauden Nordamerikas, aber auch Asiens gestalten, müssten wir auf eine enorme Fülle von Pflanzen verzichten. Wer kann sich Gärten vorstellen ohne Phloxe, Astern, Kandelaber-Ehrenpreis, Sonnenhüte, die überwältigende Vielfalt der Präriestauden, Sonnenblumen, aber auch Nutzpflanzen wie Erdbeeren und Kartoffeln, viele Gehölze wie Hortensien (die in Nordamerika und Asien beheimatet sind), viele Blütensträucher und die zahlreichen herbstfärbenden »Indian-Summer-Bäume«?

Und sind nicht auch die über Jahrhunderte entstandenen unzähligen Züchtungen und Auslesen (heimischen, nicht-heimischen und gemischten Ursprungs) ein wertvolles gärtnerisches Kulturgut? Darunter die bei ökologisch Gärtnernden meist gemiedenen Gefülltblüher, von denen zwar auch einige in der freien Natur entstanden und sich aus eigener Kraft fortpflanzen, die meisten (nicht alle!) sich aber weder vegetativ noch durch Samenbildung erhalten können. Sie wären als Laune der Natur so schnell verschwunden, wie sie entstanden. Dass es dennoch so viele gibt, liegt an unseren seit Jahrhunderten gepflegten menschlichen Vorlieben, Züchtungskunst und den Möglichkeiten vegetativer Vermehrung. – Ja, es stimmt, gefüllte Blüten haben selten Nutzen für Insekten, aber sie sind Teil der Geschichte unserer Gartenkultur. Wenn man sie hin und wieder inmitten eines sonst üppigen Pollen- und Nektarangebots platziert, ist der Erhalt ihres Liebreizes ganz sicher ein minderes ökologisches Vergehen. Ähnlich sieht es mit den vielen gefüllt blühenden Rosen oder der 1000-jährigen Tradition chinesischer Päonien-Züchtung aus, dort gelten die vollständig gefüllten Sorten bis heute als besonders edel. Wer wollte diese historischen Zeugen der Gärtnerkunst missen?

Hilfe für Spezialisten?

Auch ist es nicht so, dass einheimische Insekten bevorzugt autochthone Pflanzen aufsuchen und Vögel lieber in einheimischen Bäumen und Sträuchern ihre Nester bauen. Es sei denn, es handelt sich um Spezialisten, die ganz bestimmte heimische Wildpflanzen zum Überleben brauchen. Das Artensterben und die ausgeräumte Natur sind jedoch ein gesamtgesellschaftliches ökologisches Thema. In unseren Gärten können wir zwar viel für Insekten und Vögel tun, aber den besonders eng an bestimmte Habitate und Pflanzen Gebundenen können wir im Garten nur bedingt die in einer intakten Natur herrschenden Bedingungen bieten. Wo es möglich ist, sollten wir es natürlich unbedingt versuchen. Ein Beispiel ist die leicht gelingende Ansiedlung der Zaunrüben-Sandbiene (Andrena florea). Sie ist tatsächlich ausschließlich auf eine einzige Pflanze, die Zaunrübe (Bryonia dioica), angewiesen. Pflanzt man diesen üppigen Schlinger aus der Familie der Kürbisgewächse, findet die kleine Sandbiene ihre Wirtspflanze zuverlässig – wie immer ihr das gelingt. Sie wird, mit Nahrung für sich und die Brut versorgt, alsbald mit dem unterirdischen Nestbau beginnen, um ihren Fortbestand zu sichern.

Schmetterlinge, etliche Bienen und Schwebfliegen lieben den reich gedeckten Tisch, den ihnen viele nordamerikanische Stauden bescheren, nie sind die stattlichen Wasserdoste (Eupatorium), die dekorativen igelköpfigen Sonnenhüte (Echinacea purpurea) und die vielen Sorten der Katzenminzen (Nepeta) ohne Besucher.

Heimisch oder naturnah?

Das soll keinesfalls als Plädoyer gegen heimische Pflanzen im Garten missverstanden werden. Sie gehören zu uns, prägen unseren Lebensraum, und es ist ökologisch wichtig und sinnvoll, sie zu pflanzen. Sie sind an ihre Umwelt angepasst und für viele Insekten und Tiere wertvoll, denen sie Nahrung und Unterschlupf bieten. Aber: Wer tatsächlich einen Garten nach streng autochthonen Kriterien gestalten will, muss mit einer relativ überschaubaren Auswahl von Pflanzen zurechtkommen, und neben breit anpassungsfähigen Arten gibt es auch in der heimischen Flora etliche, deren Standortansprüche so speziell sind, dass sie, je nach Region, für die Gestaltung ausfallen.

Aber es scheint, dass die lebhaft geführte Debatte um die Forderung nach heimischer Flora zumindest in Laienkreisen ohnehin oft einem Definitionsmissverständnis unterliegt. Denn viele Menschen, die ökologisch gärtnern wollen, fragen zwar in Gärtnereien nach heimischen Pflanzen für ihren naturnahen Garten, meinen aber eigentlich Pflanzen mit naturhafter Ausstrahlung. Ein »naturnaher Garten« ist jedoch nicht gleichbedeutend mit »heimisch«. Die Pflanzen für einen naturnahen Garten werden im Einklang mit der sie umgebenden Natur gewählt. Das bedeutet im trockenen, karg-sandigen Brandenburg eine völlig andere Ästhetik und Wahl als im fruchtbaren, regensatten Oberbayern. Regional angepasste heimische Pflanzen sind in einem naturnahen Garten also nur einer der Bausteine. Er bezieht nicht-invasive, sich harmonisch einfügende, standortangepasste nicht-heimische Pflanzen mit ein.

Vielfalt ist das Gebot!

Da kommen wir der klugen Pflanzenwahl in Zeiten des Klimawandels schon näher, denn es ist wichtig, eine möglichst große Pflanzenvielfalt ins Rennen um das Überleben der am besten Angepassten zu schicken. Das gilt für Einjährige, Stauden und Gehölze gleichermaßen. Nicht nur die Fichten sterben, auch viele andere heimische Bäume werden nach und nach aus der Vegetation verschwinden. Es macht keinen Sinn, auf autochthonen Arten zu bestehen, wenn die Pflanzen selbst uns längst zeigen, dass sie den neuen Bedingungen nicht gewachsen sind. Der Klimawandel macht keinen Unterschied zwischen heimischen und nicht-heimischen Pflanzen. Vielmehr geht es darum, möglichst rasch herauszufinden, was unter den sich dramatisch ändernden Bedingungen in Zukunft überhaupt wachsen wird. Welche Bäume sind in der Lage, in den sich immer mehr aufheizenden Städten im Sommer kühlendes Grün zu spenden? Welche Stauden werden mit ausbleibenden Niederschlägen auch ohne zusätzliches Gießwasser zurechtkommen?

Wir werden neue Wege gehen, neue Pflanzen finden müssen, die Hitze, Wasserknappheit und Wetterextremen standhalten, Konzepte grüner Freiräume in Städten, vertikale Begrünungen urbaner Häuserfassaden müssen entwickelt werden, und bei alldem wird es keine Rolle spielen, welchen Ursprungs diese Zukunftspflanzen sind – Hauptsache, sie kommen mit den neuen Bedingungen zurecht!

Gärten, Wälder und Natur werden sich verändern, und es ist dringend geboten, dass wir Menschen diesen Prozess bestmöglich, hoffentlich (endlich!) klug und undogmatisch steuern und Verantwortung für die lebendige Vielfalt unserer Gärten und Naturräume übernehmen.

 

Angelika Traub
Aus dem Forsthaus | Angelika Traub betreut Redaktion und Lektorat unseres Gartenmagazins. Sie lebt und gärtnert am Rande des Sollings. Im großen Landschaftsgarten mit seinen weitläufigen Staudenpflanzungen und vielen besonderen Gehölzen kann sie ihrer...
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