Kleiner Morgenstern

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oder Tragopogon porrifolius

Gelegentlich machen Sprachen gewaltige Sprünge, man denke z.B. an Lactose, Galaxie, Galanthus und Galium. Das Bindeglied ist das lateinische lacteus für Milch. Also Milchzucker, die Milchstraße, das milchweiße Schneeglöckchen und das Labkraut, das die Milch gerinnen lässt. Manchmal macht die Sprache Bocksprünge im wahrsten Sinne des Wortes. Der Ziegenbock war in der Antike von hoher mythologischer Bedeutung, war Opfertier, Halbgott und als Pan ein Halbmensch/Halbbock. So verwundert es nicht, dass das Wort Tragödie sich vom griechischen Wort Tragos für Bock ableitet und, jetzt endlich komme ich zur Sache, Tragopogon nichts anderes bedeutet als Bocksbart. Pogon ist auf Griechisch der Bart.

Hierzulande ist der Wiesenbocksbart, Tragopogon pratense, auf fetten Wiesen und nährstoffreichen Wegrändern keine Seltenheit. Zweijährig oder als Staude blüht er gelb im Vollfrühling und bildet bald darauf große Samenstände, die vom Winde verweht werden. Auch in Griechenland ist der Wiesenbocksbart verbreitet. Unser Augenmerk richtet sich nun aber auf eine weitere Art der selben Gattung, auf Tragopogon porrifolius. Bei einem Besuch der türkischen Ägäisküste machte diese Pflanze mit violetten Sternenblüten auf sich aufmerksam. Zwischen Gräsern, die dort alle wie unsere Getreide aussehen, und knallrotem Mohn steht sie dort, nicht weit übrigens von der Ruinenstadt Ephesus, die mit ihrem gigantischen Theater sicher Austragungsort von Bocksgesängen aller Art war.

Der violette Bockbart, ein Kind des mediterranen Raumes, kam vermutlich mit den Römern nach Mitteleuropa, Das allerdings kaum der schönen Blüten wegen, sondern weil man ihn als Gemüsepflanze schätzte. Gegessen wurden die gekochten Wurzeln, was sich auch in den volkstümlichen Namen niederschlug: Haferwurzel, Milchwurzel, Weißwurzel. Menschen, die sich an den Blüten erfreuten, nannten ihn Kleiner Morgenstern. Dabei ist die Blüte so klein gar nicht. Erwähnenswert ist noch die englische Bezeichnung Vegetable Oyster, Gemüse-Auster. Die Haferwurzel war über Jahrhunderte eine beliebte Gemüsepflanze, ihr Geschmack muss vortrefflich gewesen sein. Ab dem 17. Jahrhundert begann die Schwarzwurzel sie zu verdrängen, eine nahe Verwandte. Ob die Schwarzwurzel geschmacklich mithielt? Auf jeden Fall war sie ertragreicher. Immerhin war die Haferwurzel oder Haferwurz im 19. Jahrhundert noch der Erwähnung wert. Die Saatgutfirma Benary führt sie in ihrem großen Verkaufsalbum von 1876. Und Johannes Böttner nennt sie 1895 im Gartenbuch für Anfänger, allerdings nur im Zusammenhang mit Schwarzwurzeln. Um die Schwarzwurzel haben sich die Züchter bemüht, davon zeugen die verschiedenen Sorten. Die Haferwurz ist weitgehend eine Wildpflanze geblieben.

Als solche Wildpflanze steht sie im Eresinger Garten, d.h. sie steht eigentlich nicht, sondern wandert, so wie es Zweijährige gewöhnlich treiben. Jahr für Jahr erfreut sie uns mit ihren violetten Blüten, ein Violett, das durch die goldgelben Staubbeutel noch gesteigert wird. Und ein zweites Mal begeistert Tragopogon porrifolius, wenn er seine Samenstände entfaltet hat, riesige Pusteblumen, die leider schnell Wind und Regen dahinraffen. Irgendwo im Garten keimen dann einige Samen, bilden Rosetten, überwintern problemlos und blühen Ende Mai des Folgejahres.

Christian Seiffert
aus Jamlitz und Eresing Seit 2001 experimentiert Christian Seiffert parallel in zwei geographisch weit auseinanderliegenden Gärten: in Oberbayern und in der Niederlausitz, im Land Brandenburg.
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Text und Fotos: Christian Seiffert