Pfui, eine Hybride!

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Nun blüht es wieder, das blassgelbe Buschwindröschen. Aus einem kompakten Blätterwald schauen hunderte Blüten hervor, dichtgedrängt, nicht locker verteilt wie beim gewöhnlichen Buschwindröschen. Etwas später schießen die Triebe der wilden Paeonia officinalis daraus hervor, zwei Stauden, die sich wunderbar ergänzen und vertragen. Ist das dichte Beieinander dieser Anemone normal? Ist es eine Folge ihrer Sterilität? Sorgt die ausschließlich vegetative Vermehrung für das dichte Beieinander? Jawohl, sie ist (fast) steril, so wie viele, aber durchaus nicht alle Hybriden. Das blassgelbe Buschwindröschen ist eine Hybride, aber nicht aus Züchterhand. Sie ist an vielen Stellen Europas entstanden, dort wo ihre »Eltern«, das weiße Buschwindröschen, Anemone nemorosa, und das gelbe Buschwindröschen, Anemone ranunculoides, benachbart oder miteinander vorkommen. Diese Naturhybride erhielt den botanischen Namen Anemone x lipsiensis, was übersetzt Anemone von Leipzig heißt. Denn dort wurde sie zuerst gefunden. Das Malzeichen »x« bedeutet, dass es sich um die Kreuzung zweier Arten handelt.

Dieses naturhybride Buschwindröschen kommt außerhalb von Gärten nur selten vor, es hat in der freien Landschaft ohne Samenbildung keine Chance, sich richtig auszubreiten. Ökonomisch gesehen sind seine Blüten Energieverschwendung, und dabei produzieren die Blüten auch noch Nektar. Insekten werden angelockt, von wichtiger Bestäubungstätigkeit anderer Pflanzen abgezogen. Warum dieser unnötige Aufwand? Nun ist ja eigentlich diese ganze Hybride ein unnötiger Aufwand. Doch die Natur fragt nicht nach dem Sinn und denkt nicht ökonomisch. Sie experimentiert. Schafft immer wieder neue Varianten, von denen manche erfolgreich sind, die meisten aber zugrunde gehen. Eine Zukunft hat Anemone x lipsiensis nur, weil wir Menschen sie in die Gärten geholt haben, sie durch Teilung vermehren und uns an ihr erfreuen. Wenn sie dann auch noch Nektar liefert, sind sogar die Imker zufrieden. Nun aber die Frage, warum produziert diese Anemone Nektar? Ganz einfach, weil die Elternarten das auch machen. Die hybride Anemone kann sich nicht einfach einiger Gene entledigen, sie hat die Produktion von Nektar geerbt.

Naturhybriden sind keine Seltenheit. Und nicht immer sind sie steril. Es kann vorkommen, dass durch Hybridisierung eine neue Art entsteht, gewöhnlich aber löst sich die Affäre durch Rückkreuzung mit einer der Elternarten wieder auf, weil die ja in unmittelbarer Nähe stehen und zur selben Zeit blühen. Öffnen Arten ihre Blüten zu verschiedenen Zeiten, oder leben sie in unterschiedlichen Lebensbereichen, kann es zu keiner Hybridbildung kommen, auch wenn sie noch so nahe verwandt sind.

Solche Hindernisse überwindet der findige Pflanzenzüchter. Georg Arends gelang es Anfang des 20. Jahrhunderts, den im Frühjahr blühenden Phlox divaricata mit dem sommerblühenden Phlox paniculata zu kreuzen. Leider hat er nicht verraten, wie er die Zeitdifferenz der Blüte überwunden hat. Jedenfalls gingen daraus Sorten hervor, die überwiegend wie Phlox paniculata aussehen aber deutlich früher blühen. Die wenigen erhaltenen Sorten heißen Phlox Arendsii-Hybriden. Sie sind allesamt steril. Doch gelang es einem niederländischen Züchter, von der Arends-Hybride 'Hilda' Samen zu ernten. Was war da geschehen? In Hildas Nachbarschaft standen Wildformen von Phlox paniculata. Es fand eine erfolgreiche Rückkreuzung statt.

Hybriden aus der Natur, wie die aus Menschenhand, haben für Gärtner, Gartenfreunde aber auch Landwirte eine Fülle an Vorteilen. Gelingt es durch Hybridisierung z.B., die besonderen Vorteile zweier Staudenarten so zu vereinen, dass fertile, samenbildende Nachkommen entstehen, wie beim hohen Staudenrittersporn, dann ist der weiteren Züchtung vieler neuer Sorten Tür und Tor geöffnet. Beispielhaft auch die Geschichte der Erdbeeren. Im 17. Jahrhundert fanden europäische Siedler in Nordamerika eine Erdbeere, die größer und wohlschmeckender war als die heimische Walderdbeere. Die Scharlacherdbeere, Fragaria virginiana kam nach Europa und war ein Erfolg. Später, gegen Ende des Jahrhunderts, wurde in Südamerika eine weißfrüchtige Erdbeere entdeckt, die dort von den Indios angebaut wurde. Auch sie kam nach Europa und war ein Misserfolg. Man hatte wohl außer Acht gelassen, dass Fragaria chiloensis eine zweihäusige Erdbeere ist. Doch 1750 entdeckte ein Gärtner in Amsterdam eine Hybride, die man getrost als die Stammform der Gartenerdbeere bezeichnen kann. Sie wurde Fragaria x ananassa genannt. Sie vereint die positiven Eigenschaften von Fragaria chiloensis mit denen von Fragaria virginica. Die Früchte sind groß, rot, wohlschmeckend und inzwischen auch transportfähig. Die Pflanzen sind einhäusig, was den Anbau erleichtert. Ergänzend sei bemerkt, auch der Weizen, das weltwirtschaftlich wichtigste Getreide, ist aus mehrfacher Hybridisierung entstanden. Aus dem Wildgras Aegilops speltoides entstand durch Einkreuzung mit dem Wildeinkorn der Kulturemmer und einer weiteren Einkreuzung mit dem Wildgras Aegilops squarrosa schließlich der Kulturweizen Triticum aestivum.

Die meisten Stauden in unseren Gärten sind in der Lage, sich durch Aussaat zu vermehren. Das mag in einigen Lebensbereichen erwünscht sein, in Beetstauden-Bereichen bringt es Verwirrung und kann zur Pest werden. Abhilfe schafft der rechtzeitige Schnitt nach der Blüte. Sterile Stauden erweisen sich in diesem Zusammenhang als Wohltat. Bildete die Gräserhybride Calamagrostis x acutiflora keimfähige Samen, wäre sie nie zum Gartenstar aufgestiegen. Steril aber ist es das dekorative, hohe, etwas steife Reitgras, das je nach Fundort 'Karl Foerster', 'Overdam' oder 'Waldenbuch' getauft wurde. Der Steinquendel Calamintha nepeta versamt sich in der Regel hemmungslos. Ganz zur Freude der Bienen und anderer Insekten. Für den Gärtner erweist sich da die sterile Sorte 'Triumphator' als »ordentliche« Staude. Sie blüht monatelang und das eben auch zur Freude der Bienen, denn Nektar liefert sie offenbar reichlich.

Kurz gefasst: Ohne Hybriden wäre eine Garten- und Agrarkultur kaum entstanden. Und umgekehrt: ohne Garten- und Agrarkultur wären viele Hybriden nicht entstanden.

Die F1-Hybriden, Heterosios-Hochleistungssorten, stehen auf einem anderen Blatt. Sie sind zwar nicht steril, aber sie können nicht nachgebaut werden, weil sie ein genetisches Durcheinander liefern. Auch begibt sich der Gärtner durch ihren Anbau in Abhängigkeit von Saatgutfirmen.

Christian Seiffert
aus Jamlitz und Eresing Seit 2001 experimentiert Christian Seiffert parallel in zwei geographisch weit auseinanderliegenden Gärten: in Oberbayern und in der Niederlausitz, im Land Brandenburg.
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Text und Fotos: Christian Seiffert