Wie viele Vasen braucht der Mensch?

Text: Antje Peters-Reimann
Fotos: Staudengärtnerei Gaißmayer

Der weltbekannte Staudenzüchter Karl Foerster lebte in Potsdam-Bornim in einem Haus, das von einem Senkgarten umgeben war, in dem es rund ums Jahr blühte. Auch in seiner unmittelbar nebenan gelegenen Gärtnerei wurde »durchgeblüht«, wie es Foerster einst formulierte. Noch heute ist die Blumenpracht im Foersterschen Senkgarten und in der immer noch existierenden Staudengärtnerei so üppig, dass der 1970 verstorbene Gärtner wohl seine Freude daran hätte.

Auch im Wohnhaus Foersters, zu dem einst ein nicht abreißender Strom an Bewunderern pilgerte, spielten Blumen eine wichtige Rolle. Aber wehe, wenn zu seinen Lebzeiten die Blumen in der falschen Vase standen! Das war ein Umstand, den der feinsinnige Staudenzüchter nicht tolerierte. Und so schrieb er 1919 folgende Zeilen:
»Edle brauchbare Gefäße für Blumen sind seltener als edle Blumen… Wer Blumen in seinem Garten pflegt, braucht für einen gesunden, nicht übertriebenen Blumenvasen-Kultus im Hause mindestens 30-50 erlesener verschiedenartigster Vasen… Diese Vasen brauchen keineswegs teuer zu sein, dürfen es aber natürlich; ihre Kosten können sehr leicht allmählich freudenärmeren Dingen abgespart werden. Eine neue »schöpferische« Vase lässt uns von ganz neuer Seite an die Blumennatur herantreten, schenkt uns nicht zu ahnende neue Beziehungen auchzu alten Blumen, befruchtet das innerste Wachstum unseres Verhältnisses zu Blumen. Sie ist dem Blumenfreund ein unabsehbarer geistiger Besitz, ist ihm wie eine Art Zuwachs an Lebensgefühl«, war sich Foerster sicher. Und voller Überzeugung schrieb er weiter: »Die eigentlichen Zauberkräfte einer neuen Vase lernen wir oft erst im Laufe der Zeit durch eine bestimmte Blumenart kennen. In meinem Zimmer steht eine blassgrüne, feinwandige Glasvase mit edlen, einfach blühenden gelben und weißen Chrysanthemum, die ich im ersten November-Schneegestöber noch aus dem Freien pflückte. Keine Vase könnte diese Blumen und Zweiglinien demütiger und bedeutungsvoller feiern und dem Verkehr der Seele mit ihnen reiner ihren Platz weisen. – Mancher Vase kann man niemals eine Blume und mancher Blumen nie eine Vase vergessen. Von den Vasenblumen der Jahreszeit können Wirkungen ausgehen, die uns als Blumenwirkungen zum ersten Mal zum Bewusstsein kommen.«

Welch wahre Worte!

Aus schlankem Kelch der hohen Vase steigen,
Von gelber Rosen zartem Samt umschmiegt,
Vier weiße Lilien, die sich himmlisch neigen,
Als sei für ewig alle Schuld besiegt.
Mir wird zu Sinn: ich höre leise Geigen,
Ein Engelstraum durch meine Seele fliegt:
Vier weiße Frauen, schwebende Gestalten,
Die in den schmalen Händen Lilien halten.

Sie grüßen mich, sie sind mir greifbar nahe:
Die Erste singt: »Sei Schönheit dein Geschick!«
Die Zweite: »Staubesblanken Glanz empfahe!«
Die Dritte: »Mild erschlossen sei dein Blick!«
Die Vierte: »Stolze Neigung ich bejahe.
Sieg im Besiegtsein!« Silbern tönt Musik.
Und alle drauf in seligem Quartette:
»Sei frei und rein! Leid löste deine Kette.«

Ein Zittern. Der Gestalten Linien schwinden,
Vier Kelche hauchen feinen Duft mir zu.
O könnt' ich ihrem Sinn Erfüllung finden
Und blühn in leuchtend hoheitsvoller Ruh!
Sie stehn so grad, kein Gärtner mag sie binden,
Vorbild für uns, Geliebte, Schwester du,
Bis wir im Garten dieser Welt erwarben
Staubfäden auch so goldorangefarben...

 

Karl Henckell (1864-1929),
aus der Sammlung »Symphonie in Stanzen«

Antje Peters-Reimann
Antje Peters-Reimann ist Gartenhistorikerin und Journalistin in Essen. Sie hat sich der Geschichte der Gartenkunst verschrieben und berichtet berichtet über bekannte und unbekannte Gärten und ihre Schöpfer und erzählt spannende »grüne Geschichten«!...
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Text: Antje Peters-Reimann
Fotos: Staudengärtnerei Gaißmayer