Der Teufel im Garten

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Mein Großvater (oder war es sein Gärtner?) pflanzte vor dem Ersten Weltkrieg einen Knöterich, den ich Fallopia XY nennen möchte. Er hat sich über 100 Jahre auf dem Jamlitzer Grundstück gehalten, obwohl er in manchen Jahren den Anschein vermittelte, sich zurückziehen zu wollen. Er wurde geliebt, ob seiner sehr dekorativen, 3 bis 4 m hohen, bambusartigen Stiele, die einen leichten Anflug von Rot aufwiesen. Sieht man vom Zeitraum zwischen dem Schnitt im Spätwinter und dem beginnenden Austrieb in April/Mai ab, hat dieser Flügelknöterich dem Betrachter immer etwas zu bieten. Im Frühling überrascht der rasante spargelartige Austrieb, ab Juni sind die Stiele und Belaubung voll entwickelt, im September erscheinen die sehr dekorativen kleinen aber zahlreichen Blütenrispen. Es folgt das ockerfarbene Herbstlaub, dann der Laubfall, und über den Winter beeindrucken die kahlen, sehr standhaften »architektonischen« Stiele. Als Kinder haben wir die Stiele zu allerlei Spielen und als Blasrohre gebraucht.

Besucher warnen mich, manche Besucher sind gar entsetzt: Ein schrecklicher Neophyt, wie kannst du nur! Nun, wer 30 km weiter in den Spreewald fährt, kann sehen, wie schrecklich ein verwandter Flügelknöterich, Fallopia japonica, sein Unwesen treibt. Er nimmt große Flächen ein, die er so dicht überwuchert, dass auf dem verdunkelten Boden keine anderen Pflanzen mehr wachsen können. Kommen Teile dieser Fallopia japonica ins Wasser und werden verschleppt, dann entwickeln sich neue Katastrophen. Die dicken Rhizome dringen metertief in den Unterboden vor, was die Bekämpfung schier unmöglich macht.

Nein, solch einen Knöterich hat mein Großvater nicht pflanzen lassen. Auch ist Fallopia XY in den über 100 Jahren seiner Existenz nie in die Nachbarschaft ausgebrochen und wurde nie gefährlich. Nun wird in der einschlägigen Literatur aber auch vor Fallopia sachalinensis und einer Hybride, Fallopia x bohemica gewarnt. Sie sehen beide ähnlich aus, doch passen ihre Beschreibungen kaum zu unserer Fallopia XY. Vielleicht kann einer unserer Leserinnen und Leser die Art bzw. Sorte identifizieren?

Nun ist unser Knöterich ganz und gar kein Alleinherrscher, wie der unverträgliche Spreewaldteufel. Im Gegenteil. Er selber wird durch Walnussbäume beschattet. Um die Gesellschaft zu schildern, zwischen der XY steht, beginnen wir im zeitigen Frühjahr mit den Frühlings-Alpenveilchen (Cyclamen coum) und dem Elfen-Krokus (Crocus tommasinianus). Etwas später zeigen sich die Sibirischen Blausterne (Scilla siberica). Diese Frühlingsblüher nutzen die Zeit, in der die Nussbäume noch keine Blätter haben. Und der Knöterich treibt erst später aus.  Ein Großteil des Knöterich-Areals ist übrigens dicht mit verschiedenen Elfenblumen bewachsen, vor allem mit der Alpen-Elfenblume (Epimedium alpinum). Sie erhalten im Frühjahr einen Sichelschnitt und sind sonst ganzjährig ein dichter Bodendecker. Wo keine Elfenblumen stehen, haben sich hohe Sommerphloxe (Phlox paniculata) und die robuste Bahnwärter-Taglilie (Hemerocallis fulva) ausgebreitet. Leider taucht dazwischen auch immer wieder die kanadische Goldrute (Solidago canadensis) auf. Im Gegensatz zu den wunderbaren, im Angebot der Staudengärtnereien erhältlichen Sorten, die keinerlei Neigung zu invasiver Ausbreitung zeigen, ist sie leider auch ein aggressiver Neophyt, sieht aber im Jamlitzer Garten schön aus.

Steht eine Pflanze seit über 100 Jahren im Garten, ist sie dann noch ein Neophyt? Wahrscheinlich schon, was sind denn 100 Jahre! Aber wofür ich mich verbürge: ein invasiver Neophyt ist Fallopia XY nicht. Trotzdem werde ich mich hüten, ihn weiter zu empfehlen. Denn seine Harmlosigkeit könnte ja auf den trockenen Sandboden zurückzuführen sein, und würde sich andernorts am Ende doch wie ein Teufel benehmen. Dankbar wäre ich jedenfalls, wenn Leser über ihre Erfahrungen mit dieser Fallopia-Art oder -Sorte berichten könnten oder wissen, worum es sich bei XY handelt.

Christian Seiffert
aus Jamlitz und Eresing Seit 2001 experimentiert Christian Seiffert parallel in zwei geographisch weit auseinanderliegenden Gärten: in Oberbayern und in der Niederlausitz, im Land Brandenburg.
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Text und Fotos: Christian Seiffert